Montag, 25. Januar 2010

Haiti (3) ...

Ich hoffe, ich langweile Euch nicht - aber das glaube ich auch nicht wirklich.
Klar haben wir uns mittlerweile an die Meldungen im TV gewöhnt - immerhin gab es ja auch mal vor einigen Jahren einen Tsunami im asiatischen Raum und jetzt ist schon wieder ein Flieger abgestürzt mit über 90 Passagieren an Bord ....

Also das Katastrophenmanagement klappt hervorragend.
Und wir alle hier - omamo, Rabiata, ich, Alien, Arnie - sitzen abends gebannt auf und um den Ektorp herum und gucken Nachrichten und gruseln uns, aber es wird eigentlich schon wieder langweilig....

Wobei - eine Meldung hat mich irritiert - was haben die denn im TV gegen schnelle und unbürokratische Adoptionen?
Ist doch toll, wenn die armen Waisenkinder endlich in vernünftige Länder kommen, in denen sie eine relativ wohlhabende Familie bekommen und zur Schule gehen und was anständiges werden können!

Dachte ich jedenfalls.

Bis ich nachgefragt habe.
Oh shit - lest mal selber:
Liebe Mo,

hier wie telefonisch besprochen eine Stellungnahme zu den Adoptionen:
Grundsätzliches zu Adoptionen: Die Eltern, die Kinder annehmen, tun dies vor allem, um sich selbst einen Kinderwunsch zu erfüllen.

Für Kinder, die aus dem Ausland nach Deutschland adoptiert werden, ist dies zunächst einmal traumatisch. Unsere Tochter etwa war fünf Jahre alt, als wir sie aus Haiti geholt haben, und sie hat fast ein halbes Jahr lang das Haus und den Garten nicht verlassen, weil sie ungeheure Ängste ausstand, sie müsse wieder weg.

Mittlerweile ist sie fast zehn Jahre bei uns, aber es treten immer wieder gewaltige Probleme auf, die wir in mühsamer Kleinarbeit zu bewältigen versuchen.
Das gelingt uns nicht immer ganz allein, zurzeit zum Beispiel ist sie in einer Psychotherapie, um verdrängte schlechte Erfahrungen wieder abrufbar zu machen und bewusst zu verarbeiten.

Insofern finden wir das genaue Auswahlverfahren für Adoptivbewerber auch richtig. Es ist wirklich nötig, schon im Verfahren darauf hingewiesen zu werden, dass man mit den Kindern auch ihre Probleme adoptiert, egal wie klein die Kinder noch sein mögen. Innerhalb der Vorgespräche hat man uns schon auf manche Problemlagen hingewiesen, die wir da noch als unwichtig abgetan haben. Dann hat uns die Realität eingeholt.
Genau aus diesem Grund sind schnellere Verfahren - selbst unter den jetzigen Umständen in Haiti - nicht gut.
Es ist verständlich, dass mitfühlende Menschen gerne etwas tun möchten, um das Leid und die Not in Haiti zu mindern. Aber sie sind nicht auf die Bedürfnisse der Kinder vorbereitet, und jede Adoption wäre meines Erachtens nach zum Scheitern verurteilt.

Ganz zu schweigen davon, dass derzeit in Haiti noch viele Familien zusammengeführt werden können.
Unsere Studenten aus dem Schulpatenschaftsprogramm und auch ein US-amerikanischer Lehrer, der in Haiti unterrichtet, bestätigen, dass sich abends Einheimische auf den Straßen nach den Kindern erkundigen, die allein unterwegs sind. Wenn diese nicht wissen, wohin, werden sie in den Camps aufgenommen und versorgt.

Es herrsche eine unglaublich fürsorgliche Stimmung - was ich aus meinen bisherigen Erfahrungen in Haiti nur bestätigen kann: Auch wenn man die Kinder nicht ernähren kann, weil man nichts hat, man behandelt sie gut und kümmert sich eben mit den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen.

Unsere Studenten haben zum Beispiel auch erzählt, dass sie auch schon Kinder vorübergehend aufgenommen und am nächsten Tag Familienmitglieder ausfindig gemacht haben. Würden diese Kinder aus ihrer Nachbarschaft entnommen, bestünde keine Chance mehr, lebende Angehörige zu finden.

Außerdem hilft man mit einer Adoption dem eigentlichen Land nicht.
Dadurch, dass wir zum Beispiel zwei Kinder nach Deutschland geholt haben, haben wir zwar das Schicksal dieser beiden extrem zum Besseren verändert. Aber für Haiti ändert das gar nichts.

Wir haben uns deshalb dazu entschlossen, einem Hilfsverein beizutreten, der Haiti-Kinderhilfe. Diese versucht, auch den Kindern in Haiti bessere Startbedingungen ins Leben zu verschaffen - so haben wir etwa eine Geburtsklinik in der Nähe des größten Slums von Port-au-Prince, Cité Soleil, gebaut, unterstützen ein Kinderhospiz, in dem Babys im Hungerkreislauf entweder aufgepäppelt oder beim Sterben begleitet werden, haben ein Waisenhaus errichtet, bieten Schulpatenschaften für Kinder aus den Slums an (und haben dabei große Erfolge, so stehen einige unserer Schützlinge bereits als Ärztin, Chemiker oder Bauingenieur im Berufsleben) und haben ein Bildungs- und Ernährungsprogramm für Kindersklaven in Haiti finanziert, das 2.000 sogenannte Restavek regelmäßig unterstützt.

Für die jetzt durch das Erdbeben und seine Folgen traumatisierten Kinder ist es sicher besser, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Bei Menschen, die ihre Sprache sprechen, die dieselben Erfahrungen bewältigen müssen, mit Nahrung versorgt zu werden, an die der Körper gewöhnt ist, und keinen Temperatursturz verkraften zu müssen.

Wenn sich die Lage einmal stabilisiert hat, dann erst ist die Zeit, nach langfristigen Unterbringungsmöglichkeiten für diese Kinder zu suchen. Die Lebensmission hat für die Zwischenzeit schon Platz in einem existierenden Kinderheim gemacht, um Waisen und Findelkinder unterzubringen. Betroffene können nach haitianischem Recht ohnehin erst nach zwei Jahren zur Adoption freigegeben werden, wenn ganz klar ist, dass nach diesem Kind niemand mehr sucht. - Diese Regel hat übrigens auch schon vor dem Erdbeben existiert, und manches Kind wurde dadurch gezwungen, entscheidende Jahre in einem Kinderheim zu verbringen.

Aber grundsätzlich erhalten die abgebenden Mütter so eine Frist, sich die Entscheidung noch einmal überlegen zu können. Da sich sämtliche Fachleute einig sind, dass Kinder am besten bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen, ist diese Frist wohl auch nötig. So sehr uns allen das Herz blutet, wenn wir sehen, wie alleingelassen viele Kinder sich oft fühlen.

Vielleicht helfen Dir diese Gedanken weiter zu verstehen, was ich am Telefon meinte.
Auf jeden Fall herzlichen Dank für Deine Unterstützung,
liebe Grüße,
heike fritz
So, das war deutlich.
Und richtig.
Hat mich überzeugt.

2 Kommentare:

  1. Also ich finde das auch ziemlich nachvollziehbar, dass es nicht gut sein kann, die Kinder unterzubringen von heute auf morgen unter zu bringen. Vor allem die Eltern, die sich Hals über Kopf für solch ein Kind entscheiden, haben dann bei Problemen erstmal selbst Probleme damit umzugehen. Damit wäre auch keinem geholfen. Und ich finde es wirklich wunderbar, wenn die Menschen sich jetzt gegenseitig so viel geben können und das auch wollen.
    Nur schade, dass immer erst eine Katastrophe passieren muß.

    LG
    Iris

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  2. Ein weiterer Grund, der gegen schnelle Adoptionen spricht:
    Diese Kinder - v.a. wenn sie dunkelhäutig sind oder einfach nur "anders" aussehen als Europäer - werden auf eine Art immer Aussenseiter bleiben. Hier sind (und bleiben sie leider meistens) die Fremden (die in Zeiten der Wirtschaftskrise von gewissen Kreisen am liebsten dahin zurückgeschickt würden, wo sie hergekommen sind), in ihrem Herkunftsland verstehen sie (meistens) nicht einmal mehr die Sprache (dort sehen sie zwar "richtig" aus, passen aber trotzdem nicht mehr dazu).
    Ein befreundetes Paar hat vor bald 20 Jahren in einem ordentlichen Adoptionsverfahren zwei Kinder (beide damals knapp ein Jahr alt) aus SriLanka adoptiert. Beide sind auch heute noch - gelinde gesagt - psychisch äusserst instabil. Das Mädchen ist fress-, der Junge magersüchtig. Beide haben schon mindestens eine Ausbildung abgebrochen. Und die einst so motivierten und engagierten Adoptiveltern balancieren ständig am Rand des Abgrunds...
    Natürlich gibt es auch positive Beispiele für Adoptionen von Kindern aus sogenannten Drittweltländern. Aber die beiden o.g. Kinder werfen ihren Adoptiveltern übrigens vor, sie entwurzelt und ihrer Herkunft beraubt zu haben... Es tut mir weh für alle Beteiligten und es ist ein Wunder, dass die Familie noch nicht vollends auseinandergebrochen ist.
    Ich persönlich würde von einer solchen Adoption eher abraten. Da ist eine nicht ideologisch motivierte Patenschaft, z.B. über Terres des Hommes o.ä. bestimmt die bessere Lösung...
    Ich knuddle dich auch, liebe Mo - du bist einfach einzigartig! Und danke für den Award, werde ihn gleich noch abholen.
    Herzliche Grüsse,
    Katarina

    P.S.:
    Und ja, ich finde es auch gemein, dass glatzköpfige Männer in der Regel sexier aussehen als kahle Frauen... ;-)

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